Der Silberfaden – erste Annäherung (2014)

Moin C.,

Linke Hand an der Orgel… und jetzt den Kopf an den Fuß…

ich musste grad so lachen, du glaubst vielleicht nicht, dass das einer der Gruende ist, warum ich noch nicht angefangen habe Schlagzeugunterricht zu nehmen – die Angst, nach 12 Jahren Samba immer noch den gleichzeitig mitzubewegenden Fuß zu vergessen – vor allem wenn der ploetzlich Quelle von Geraeuschen sein soll…

normales Lernen scheint nix fuer mich zu sein.

Orgel ist ein tolles, extrem faszinierendes Instrument. Das ist das, was mich an Kirchen mit am meisten fasziniert, dass das Gebaeude selbst durch die Orgel eine Stimme hat mit der es innen drin singen kann. Die Orgelmusik in der Kirche hat mich als Kind fuer viele absolut langweilige Sachen wie die endlose lahmarschige Predigt entschaedigt, aergerlich fand ich immer nur, dass ich nicht zuhoeren und den Klang auf mich wirken lassen durfte, sondern da mit allen anderen rumturnen musste, aufstehn hinknien sitzen knien aufstehn… und dann Leute die falsch sangen direkt neben mir.

Durch die Predigt und das Gehampel rund um den Altar ist mir erstmals klar geworden, dass man nur lang genug bewegungslos auf eine Szene gucken muss damit sie unsichtbar wird (heute weiss ich, der Sehpurpur in der Netzhaut ist dann schlicht aufgebraucht, aber als Kind fand ich das erschreckend, wenn der Altar und alles unbewegliche, wie strammstehende MessdienerInnen, ploetzlich weg war, und gelegentlich nur noch die Haende des Pastors zu sehen waren sobald sie sich bewegten).

Der Vater meines besten Nachbarschafts-Freundes in der Kindheit war Kuester / Organist / Musiklehrer / Kirchenchorleiter. Er meinte mal, ich haette ein Absolutes Gehoer, hat mir meine Mutter vor kurzem mal am Telefon erzaehlt. Den Verdacht hatte ich selber schon oefter, wenn ich meine vollkommen beknackte Herangehensweise an Musik betrachtet hab; den Verdacht dann ca. 35 Jahre spaeter posthum bestaetigt zu bekommen von einem Musiklehrer, beruhigte mich. Das Absolute Gehoer, was zu meiner Zeit immer eine bemunkelte Sonderfaehigkeit war, ist uebrigens gar nicht so selten auf der Welt, bei Asiaten deren Sprachen nicht wie bei uns auf Silben, sondern auch ganz erheblich auf Relation der Tonhoehen zueinander basieren, ist es ziemlich weit verbreitet. Entsprechend hoch ist auch die Anzahl der Chinesen und Japaner im Weltklassejazz. (befreit mich von der „Pflicht“, damit „was anzufangen“)

Apropos klingendes Gebaeude. Wenn ich koennte, wuerde ich mir eine Orgel in die Wohnung einbauen lassen. In Afrika (ich weiss nicht genau wo) gibt es das Prinzip der klingenden Huette, da wird eine Saite an die Huettenwand genagelt, mit einem Steg aehnlich unsern Geigen-Stegen gespannt und dann als Monochord gespielt. Die gesamte Huettenwand dient dann als Resonanzflaeche. Finde ich hoch faszinierend. So als oller Berimbau-zu-spielen-Versucher. Hab ich mal versucht mit meiner Kuechentuer und dem Berimbau-Bogen nachzuempfinden, dabei stieß ich auf Mathematik als Grundlage der Naturtoene. (und sicherlich nicht auf Liebe meiner Nachbarn, die wahrscheinlich auch keine Orgel oder ein singendes Flammenrohr in meiner Wohnung begruessen wuerden, weil ich damit erstmal uebelst herumprobieren wuerde, statt Musik im Sinne der solchen zu machen und Alle meine Mettendchen zu spielen.)

Meine AG-Kollegin und derzeitig beste Freundin / verwandte Seele H. bestaetigte mir heute, dass ich durchaus auffaellige autistische Zuege habe (sie meinte aber, die haetten alle Menschen die sie kennt, an unterschiedlichen Stellen). Ehrliches Danke, es ist besser in einem nagenden Verdacht bestaetigt zu werden, als durch falsch-wegblickende Hoeflichkeit vor negativ konnotierten Begrifflichkeiten „geschuetzt“ zu werden.

Mit H. hab ich ein dermassen *vertrautes* Umgehen, wie ich es mit meinen eigenen Eltern schon aufgrund der zu spielenden Rollen nicht haben kann. H. ist Mutter (aber nicht meine) und meint, ich waere ihrem Sohn in etlichen Ansichten / Reaktionen frappierend aehnlich, dann bin ich ein gutes Modell wenn sie mal wieder mit ihm und seiner Sichtweise hadert, kann sie mir alles sagen was sie da stresst (und das ist nicht wenig), und ich sage wie ich reagieren wuerde; und mit mir kann sie’s durchsprechen und muss danach nicht mehr versuchen, ihn zu seinem Besten zu verbiegen. Verbiegen bringt nix ausser nem straff gespannten Ast, der bereit ist dir dann ins Gesicht zu peitschen wenn du nicht mehr damit rechnest.

Im Gegenzug erklaert H. mir meine Fragen an das Universum (und das sind meine Fragen an das Mutter-Universum gegen das ich rebelliere weil ich nicht kapiere warum ich immer noch in die alte Falle reinlaufe – hey es ist der Silberfaden der dich mit dem Leben verbindet, der immer wieder literarisch in todesaehnlichen Erlebnissen als Vergleich bemueht wird – der Faden der gummiartig elatsich ist und den du _lebend_ nicht kappen KANNST wenns um Trennung von den Personen geht, die deine unmittelbaren Vorfahren geht. Die haben dir nicht nur eine Ei- und eine Samenzelle zu deiner Existenz spendiert, sondern die Frau zusaetzlich – 9 Monate „womb service“. Alles was diesen Geschenken folgt, ist optional. Dabei vielleicht auch zu viel Liebe und unerwuenschte Ueber-Protektivitaet. Du musst als durch unerwuenschte Aufmerksamkeit gequaeltes (vielleicht autistoides) Kind mit dem Silberfaden deiner Existenz leben egal wie dringend dein Wunsch ist, die Eltern auszuloeschen – fair auf den noetigen Abstand bringen ist das einzige, was Chancen hat, der Silberfaden zu deinen Erzeugern besteht solange du lebst, und er ist lebenslang unkaputtbar.

Das hab ich gelernt nachdem ich versucht hab, den Kontakt zu meiner Familie vollkommen abzubrechen – der Silberfaden ist nur zerstoerbar wenn ich MICH kille.

[…]

Dieser Beitrag wurde unter Textmoräne veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.